Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur bei korrekter Sozialauswahl durch den Arbeitgeber wirksam. In Kündigungsschutzverfahren wird das Arbeitsgericht bei fehlerhafter oder fehlender Sozialauswahl zugunsten des Arbeitnehmers entscheiden.
Die Vorgaben zur Sozialauswahl sind allerdings nicht gerade einfach. Rechtsanwalt Fabian Symann, Fachanwalt für Arbeitsrecht in München, erläutert, worauf es ankommt.
Bei betriebsbedingten Kündigungen muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl treffen
Wenn der Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen einem oder einigen Mitarbeitern ordentlich kündigt, während andere Arbeitnehmer weiterbeschäftigt werden, dann darf er die Auswahl nicht nur nach Opportunität oder gar nach Sympathie treffen. Soziale Gesichtspunkte müssen eine Rolle für die Frage spielen, wer für die Kündigung ausgewählt wird. Die Sozialauswahl schreibt das Kündigungsschutzgesetz ausdrücklich vor (§1 Abs. 3 KSchG).
Geht ein aus betrieblichen Gründen gekündigter Arbeitnehmer per Kündigungsschutzprozess dagegen vor, und kann er vor dem Arbeitsgericht glaubhaft machen, dass keine angemessene Sozialauswahl stattgefunden hat, dann ist die Kündigung wirkungslos. Und zwar auch dann, wenn dringende betriebliche Gründe gegen die Weiterbeschäftigung sprechen.
Es ist Sache des Arbeitnehmers, eine fehlerhafte oder fehlende Sozialauswahl und die eigene soziale Schutzbedürftigkeit nachzuweisen.
Wann gilt die Pflicht zur Sozialauswahl?
Relevant wird die Frage der Sozialauswahl und der individuellen Schutzbedürftigkeit nur unter folgenden Voraussetzungen:
- Die Kündigung erfolgt betriebsbedingt.
- Im Betrieb werden in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt.
- Der Arbeitnehmer ist seit mindestens sechs Monaten beschäftigt, ohne Unterbrechung.
Das Überschreiten der Zehn-Mitarbeiter-Schwelle und die sechsmonatige Wartefrist sind Voraussetzungen dafür, dass das Kündigungsschutzgesetz und seine Vorschriften überhaupt gelten. Bei personenbedingten oder verhaltensbedingten Kündigungen ist eine Sozialauswahl irrelevant.
Übrigens gilt die Pflicht zur Sozialauswahl auch für Kündigungen durch den Insolvenzverwalter.
Wer muss in die Sozialauswahl einbezogen werden?
Eine entscheidende Frage: Unter welchen Arbeitnehmern muss die Sozialauswahl getroffen werden? Diese Vergleichsgruppe darf nicht einfach auf die unmittelbar vom Stellenwegfall betroffene Abteilung beschränkt werden. Wenn die vom Stellenabbau Beschäftigten die Arbeitsplätze von Kollegen aus anderen Abteilungen übernehmen können, gehören auch die Kollegen der anderen Abteilungen des gleichen Betriebs dazu.
Angenommen, ein Münchner Einzelhandelsunternehmen hat vier Filialen im Stadtgebiet, muss aber den Betriebsteil am Standort Bogenhausen schließen. Das Unternehmen plant Entlassungen in der Höhe von zwei Dritteln des dort beschäftigten Verkaufspersonals. Die Sozialauswahl darf nicht nur unter dem Bogenhausener Verkaufsteam vorgenommen werden. Auch die Kollegen der Betriebsteile in Laim, Giesing und der Maxvorstadt müssen einbezogen werden.
Wird die Sozialauswahl unter einer fehlerhaften Vergleichsgruppe getroffen, kann das bereits die Kündigung zu Fall bringen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht erkennt solche Formfehler.
Gleiche Hierarchieebene, vergleichbare Aufgaben
Grundsätzlich bezieht sich die Sozialauswahl auf Arbeitnehmer, die vergleichbar eingesetzt werden können. Dabei gilt das Prinzip der „horizontalen Vergleichbarkeit“: die Vergleichsgruppe umfasst in der Regel keine Mitarbeiter unterschiedlicher Hierarchieebenen. In die Sozialauswahl zur Kündigung eines Sachbearbeiters werden weder Abteilungsleiter noch ungelernte Aushilfen einbezogen.
Auch vom Tätigkeitsprofil her muss Gemeinsamkeit bestehen. Bei der Entlassung von Mitarbeitern aus der Produktion werden die Beschäftigten aus dem Finanz- und Rechnungswesen nicht mit einbezogen. Schließlich könnten die Arbeitskräfte aus der Fertigung nicht einfach die Buchhaltungsjobs übernehmen. Natürlich sind solche Grenzen fließend. Wenn eine kurze Einarbeitung zur Umsetzung des einen Arbeitnehmers auf den Arbeitsplatz des anderen reicht, dann müssen beide in die Sozialauswahl eingestellt werden.
Wichtig ist als Kriterium nicht nur eine zumutbare Einarbeitungszeit, sondern vor allem die Frage, ob eine Versetzung vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt wäre. Für die Bildung der Vergleichsgruppe sind damit auch die individuellen Arbeitsverträge von Bedeutung.
Wer wird nicht in die Sozialauswahl einbezogen?
Arbeitnehmer, die besonderen Kündigungsschutz genießen, werden in der Regel nicht Teil der Vergleichsgruppe. Das gilt zumindest dann, wenn die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des besonders Geschützten durch die zuständige Behörde nicht vorliegt. Besonderen Kündigungsschutz genießen Mitglieder des Betriebsrats, Schwangere, Mitarbeiter in Elternzeit und Arbeitnehmer mit einer Schwerbehinderung. Auch tariflich unkündbare Mitarbeiter kommen grundsätzlich nicht in den Pool derjenigen, unter denen die Sozialauswahl zu treffen ist.
Ob und wann (besonderer) Kündigungsschutz die Aufnahme in die Vergleichsgruppe verhindert, ist im Arbeitsrecht nach wie vor umstritten.
Das „berechtigte betriebliche Interesse“ an bestimmten Arbeitnehmern
Aus der Sozialauswahl kann der Arbeitgeber außerdem die Mitarbeiter herausnehmen, an deren Verbleib ein besonderes betriebliches Interesse besteht. Solche Entscheidungen müssen allerdings sachlich begründet werden können. Das Gesetz nennt „Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen“ von Mitarbeitern sowie deren Beitrag zur „Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur“ als Gründe.
Der Arbeitgeber hat damit eine Chance, besonders qualifizierte und wichtige Mitarbeiter vor der Kündigung zu schützen, selbst wenn ihre soziale Schutzbedürftigkeit geringer ausfällt als bei ihren Kollegen. Entscheidend können beispielsweise besondere Sprachkenntnisse, ein Schweißer-Schein, ein LKW-Führerschein oder Berufserfahrung aus Auslandsprojekten sein. Auch die einzige Programmiererin in einer von Männern geprägten Software-Entwicklungsabteilung muss nicht in die Vergleichsgruppe aufgenommen werden. Eine drohende Überalterung der Belegschaft lässt sich auf diesem Weg grundsätzlich ebenfalls verhindern.
Ein Anspruch auf freie Auswahl der Vergleichsgruppe durch den Arbeitgeber ergibt sich aus dieser Bestimmung im Kündigungsschutzgesetz allerdings nicht. Sie wird von den Arbeitsgerichten eher eng ausgelegt. Im Zweifel muss das betriebliche Interesse sehr konkret nachgewiesen werden. Und selbst dann wird es einzelfallbezogen gegen die Interessen der Arbeitnehmer abgewogen, die die Kündigung trifft.
Aus Arbeitgebersicht ist es entscheidend, gute Leute vor einer ungewollten Kündigung zu bewahren. Ohne stichhaltige, arbeitsrechtlich überzeugende Begründung ist das allerdings nicht möglich.
Welche Kriterien geben bei der Sozialauswahl den Ausschlag?
Für die tatsächliche Auswahl der Kündigungskandidaten innerhalb der Vergleichsgruppe schreibt das Kündigungsschutzgesetz vier Aspekte vor:
- die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
- das Lebensalter,
- mögliche Unterhaltspflichten (z. B. für Kinder im unterhaltspflichtigen Alter)
- eine mögliche Schwerbehinderung
Andere Aspekte, die eine soziale Notlage ausmachen können, dürfen dagegen nicht in die Sozialauswahl einfließen. Das pflegebedürftige Kind der Arbeitnehmerin ist für die Auswahl ebenso irrelevant wie die Frage, ob sie in einem Nebenberuf ein zweites Einkommen erzielt oder ob ihr Ehemann gut verdient.
Toppt die Unterhaltspflicht für fünf Kinder eine Betriebszugehörigkeit von fünfzehn Jahren? Wie wichtig ist das Lebensalter? Eine einfache Gewichtung dieser vier Kriterien ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Inzwischen entscheiden die Arbeitsgerichte sehr einzelfallabhängig.
Auswahlrichtlinie oder Punkte-System
Die Vorauswahl der Arbeitnehmer, denen betriebsbedingt gekündigt wird, kann anhand von Richtlinien erfolgen, die ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung festlegt. Gibt es keine solche Richtlinie, kann ein Punkteschema benutzt werden. Solche Richtlinien oder Punkte-Systeme weisen den vier gesetzlichen Gesichtspunkten für soziale Schutzbedürftigkeit individuelle Werte zu. Sie sind als Teil der Sozialauswahl und damit auch für den Sozialplan im Rahmen des Interessenausgleichs bei Betriebsänderungen wichtig.
Beim Punkte-System besteht ein Wertungsspielraum. Es kann selbst dann vertretbar sein, wenn das Arbeitsgericht von sich aus eine andere Bewertung vorgenommen hätte. Allerdings darf die endgültige Auswahl der Mitarbeiter, die eine Kündigung erhalten, nie einfach anhand einer Punktzahl erfolgen. Eine wirksame Kündigung setzt eine einzelfallbezogene Prüfung voraus.
An der Erstellung eines Punkte-Systems muss der Arbeitgeber den Betriebsrat beteiligen. Richtlinien und Punkte-Schema werden vom Arbeitsgericht nur auf allgemeine Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben hin überprüft und nicht im Detail kontrolliert.
Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung: Tipps für Arbeitnehmer
- Wurde Ihnen betriebsbedingt gekündigt? Dafür ist eine Sozialauswahl vorgeschrieben – und bei der können Arbeitgeber viel falsch machen.
- Ihr Arbeitgeber muss auch die Kollegen in die Sozialauswahl einbeziehen, die er besonders mag. Hat er das wirklich getan?
- Neue Mitarbeiter, die noch keine sechs Monate im Betrieb sind, gehören ebenfalls in die Vergleichsgruppe. Sie haben nur einen recht geringen Anspruch auf sozialen Schutz.
- Zu Ihrer Betriebszugehörigkeit zählen alle Zeiten bei diesem Arbeitgeber, selbst in verschiedenen Betrieben.
- Für den Kündigungsschutz gilt: Sie haben nur drei Wochen Zeit, um die Kündigung anzugreifen. Rufen Sie am besten noch heute bei Fachanwalt Symann an.
Rechtssichere Sozialauswahl: Hinweise für Arbeitgeber
- Viele Arbeitgeber glauben, die Sozialauswahl sei nur im Zusammenhang mit Massenentlassungen, einer Betriebsänderung und der Erstellung eines Sozialplans wirklich von Bedeutung. Aber bereits eine einzelne betriebsbedingte Kündigung kann an der Sozialauswahl scheitern.
- Die Beweislast für eine fehlerhafte Sozialauswahl liegt beim Arbeitnehmer. Sie schulden ihm jedoch Auskunft über Ihre Auswahlkriterien.
- Das Sicherstellen einer mit den Interessen des Unternehmens kompatiblen Sozialauswahl ist eine Aufgabe von hoher arbeitsrechtlicher Komplexität und gehört in die Hände eines Fachanwalts für Arbeitsrecht.
- Die korrekte Bildung der Vergleichsgruppe hängt von ganz verschiedenen Aspekten ab. Einzelvertragliche Bestimmungen spielen ebenso eine Rolle wie die korrekte Abgrenzung von Betrieben und Betriebsabteilungen.
- Allein die Routine und Arbeitserfahrung eines Mitarbeiters genügen nicht als „berechtigtes betriebliches Interesse“. Die Begründung muss stichhaltiger sein.
- Strategisch sinnvoll ist eine rechtzeitig als Betriebsvereinbarung vereinbarte Auswahl-Richtlinie zur Sozialauswahl. Diese ist dann für den Betriebsrat verbindlich und kann später vor dem Arbeitsgericht nur bei grober Fehlerhaftigkeit angegriffen werden.