Wer sein Vermögen so vererben will, dass es wirklich der Tochter oder dem Sohn mit Behinderung zugutekommt, muss ein Behindertentestament erstellen. Andernfalls profitieren die sozialen Träger. Das lässt sich durch besondere Erbeinsetzungen und Anordnungen im Testament oder Erbvertrag verhindern. Worauf es bei der letztwilligen Verfügung für Behinderte ankommt, erläutert Fabian Symann, Fachanwalt für Erbrecht aus München.
Warum benötigen Sie ein Behindertentestament für Ihr Kind mit Behinderung?
Befindet sich unter Ihren Kinder oder Enkelkindern, die später einmal erben sollen, ein Mensch mit Behinderung? Dann müssen Sie ein Behindertentestament erstellen. Es ist so gestaltet, dass das vererbte Vermögen diesem Menschen selbst zugutekommt und nicht bei den Trägern für Sozialleistungen und Eingliederungshilfe landet.
Wenn die Testamentserstellung von einem Fachmann für Erbrecht betreut wird, lässt sich das vermeiden. Hier finden Sie die wichtigsten Informationen zum Testament für ein behindertes Kind.
Das Risiko: Die Erbschaft kann schnell zu Kürzungen bei Eingliederungsmaßnahmen und Sozialleistungen führen
Sehr viele Menschen mit Behinderung erhalten Transferleistungen wie Grundsicherung, oder sie stocken ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosengeld II auf. Dazu kommen in der Regel soziale Teilhabeleistungen sowie Leistungen zur medizinischen Rehabilitation durch Träger der Eingliederungshilfe. Auch Übergangsgeld von der gesetzlichen Rentenversicherung gehört zu den typischen Leistungen.
Das Problem: All diese Leistungen sind an Bedürftigkeit gebunden. Wenn ein Mensch mit Behinderungen eigenes Vermögen erbt, muss er sich damit an den Kosten dieser Leistungen beteiligen, oder das geerbte Vermögen wird bis auf kleine Schutzbeträge beim Leistungsbezug angerechnet.
- So dürfen Sozialhilfe-Berechtigte maximal 5.000 Euro an Barmitteln besitzen. Erben sie mehr, bekommen sie keine Grundsicherung mehr, bis das Erbe aufgezehrt ist.
- Bei der Eingliederungshilfe liegt der Vermögensfreibetrag etwas höher (150 Prozent der jährlichen Bezugsgröße, im Jahr 2022 sind das knapp 60.000 Euro). Doch auch hier gilt: die Träger erhalten Zugriff auf den Betrag, der dieses Schonvermögen überschreitet.
Wie kann ein Behindertentestament dafür sorgen, dass Erben mit Behinderungen wirklich profitieren?
- Die Tochter oder der Sohn mit Behinderung wird Vorerbe: In einem Behindertentestament wird der oder die Behinderte nicht als Vollerbe eingesetzt, sondern als beschränkter Vorerbe auf Lebenszeit. Damit haben sie die Aufgabe, den Nachlass für den gleichzeitig im Testament bestimmten Nacherben zu verwalten. Der Vorerbe darf das Vermögen nicht aufbrauchen oder ausgeben, kann jedoch beispielsweise Zinserträge oder Mieteinnahmen erhalten.
- Das Ergebnis: Dem behinderten Erben steht das Vermögen selbst nicht zur Verfügung. Deshalb wird es auf seinen Anspruch auf Grundsicherung oder Eingliederungshilfe nicht angerechnet.
- Wenn die Eltern ein gemeinsames Testament erstellen, muss das Kind sowohl im Erbfall der Mutter wie dem des Vaters als Vorerbe eingesetzt werden. Außerdem muss ein Nacherbe bestimmt werden, an den das Vermögen beim Tod des Kindes fällt.
- Der Erbteil des behinderten Kindes sollte mindestens dem entsprechen, was es als Pflichtteil beanspruchen kann. Das ist die Hälfte dessen, was ihm bei gesetzlicher Erbfolge zustehen würde.
- Im Behindertentestament sollte die Verwendung der Vermögenserträge, etwa Zinsen, Dividenden oder Mieteinnahmen, genau geregelt sein. Nur so lässt sich sicherstellen, dass das Kind wirklich in den Genuss von Dingen kommt, die im Rahmen von Eingliederungsleistungen oder von Grundsicherung nicht möglich sind. Schließlich hat das Behindertentestament den Zweck, eine höhere Lebensqualität oder eine bessere Versorgung zu gewährleisten.
- Die vom Erblasser vorgegebene Mittelverwendung kann zum Beispiel ein jährlicher Urlaub sein, zusätzliche Behandlungen, zusätzliche Betreuung oder eine barrierefreie Ausstattung der Wohnung.
- Auch lebenslange Wohnmöglichkeiten lassen sich durch ein Behindertentestament erreichen: das Kind erhält die Immobilie als Vorerbe und damit ein lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht. Da es nicht Eigentümer wird, erfolgt keine Anrechnung auf den Grundsicherungsanspruch oder auf die Kostenübernahme der Eingliederungshilfe.
- Um dafür zu sorgen, dass das Vermögen korrekt angelegt und wirklich in Ihrem Sinne für Ihr Kind verwendet wird, gehört zu einem Behindertentestament die Anordnung einer lebenslangen Testamentsvollstreckung.
- Die Wahl des Testamentsvollstreckers ist frei. Sinnvoll ist es, Ersatzleute vorzusehen. Wichtig: Wer die Betreuung für das Kind ausübt, kann aufgrund der Interessenskonflikte nicht gleichzeitig als Testamentsvollstrecker agieren. Er müsste sich sonst selbst kontrollieren.
Ein weiterer Vorteil der Vor- und Nacherbschaft: Mögliche Pfändungen und Zwangsvollstreckungen können das vererbte Vermögen nicht treffen. Das würde die Rechte des Nacherben verletzen (§ 2115 BGB).
Vorerbe – was bedeutet das?
Das deutsche Erbrecht gibt einem Erblasser die Möglichkeit, sein Vermögen zunächst einem Vorerben zukommen lassen und gleichzeitig bestimmen, dass es später an einen Nacherben fällt. Der Erblasser kann auch festlegen, wann das geschieht – zum Beispiel nach einem festen Zeitraum, oder nach dem Tod des Vorerben.
Vor- und Nacherbschaft gibt es nicht nur im Rahmen von Behindertentestamenten. Damit lässt sich beispielsweise auch die Nutzungsreihenfolge für eine Familienimmobilie festlegen: Erst erbt die Schwester des Erblassers als Vorerbin. Bis zu ihrem Tod darf sie Haus und Grundstück nutzen. In dieser Zeit muss sie für Steuern, Versicherung sowie Unterhalts- und Reparaturkosten aufkommen. Als beschränkte Vorerbin kann sie das Haus nicht ohne Zustimmung der Tochter verkaufen und auch keine Hypothek darauf aufnehmen. Nach ihrem Tod wird die Tochter als Nacherbin Eigentümerin der Immobilie.
Das gleiche Prinzip lässt sich auch auf andere Formen von Vermögen anwenden, zum Beispiel auf Geldvermögen oder Wertpapiere: So erhält das Kind zwar die Zinserträge. Da es aber nicht Vollerbe ist, gehören die Werte auf dem Depotkonto o. ä. nicht zum anrechenbaren Vermögen. Und damit sind sie dem Zugriff des Sozialamts und der Träger der Eingliederungshilfe entzogen.
Gestaltungsmöglichkeiten beim Behindertentestament
In einem Behindertentestament wird ein Behinderter für seine gesamte Lebenszeit als Vorerbe eingesetzt. Nach seinem Tode bekommt jemand anderes das Vermögen, das wird bereits vorbestimmt. Dieser Nacherbe kann beispielsweise ein anderer Verwandter sein. Alternativ kann auch eine gemeinnützige Einrichtung zum Nacherben bestimmt werden, zum Beispiel eine Integrationseinrichtung, in der das Kind betreut wird.
Der Erblasser kann festlegen, wie das Vorerbe zu verwenden ist. Deshalb ist diese Gestaltung für Behindertentestamente besonders gut geeignet: Sie gibt Eltern die Möglichkeit, über ihren Tod hinaus Pflege und Betreuung für ihren Schützling sicherzustellen. Auch die Nacherbschaft kann an Auflagen geknüpft werden. So kann der Einsatz einer besonders engagierten Pflegekraft durch die Nacherbschaft honoriert werden, geknüpft an die Auflage, sich wirklich um das Wohlergehen des Vorerben zu kümmern. Durch die lebenslange Testamentsvollstreckung wird sichergestellt, dass solche Auflagen Wirkung entfalten.
Warum das Enterben des behinderten Kindes wenig nützt
Als Fachanwalt für Erbrecht hört man in der Beratung zum Behindertentestament oft die Frage, ob es nicht eine einfachere Alternative gibt: Kann man das behinderte Kind nicht einfach enterben, statt Vorerbschaft und Nacherbschaft mit lebenslanger Testamentsvollstreckung anzuordnen? Im Zweifelsfall lässt sich dieser Erbteil einem Bruder oder einer Schwester übertragen mit der Auflage, sich um das Geschwister mit der Behinderung zu kümmern. Wäre das nicht einfacher?
Leider funktioniert diese Alternative nicht. Das behinderte Kind hat in diesem Fall einen Pflichtteilsanspruch, der nicht erfüllt wurde. Dieser Anspruch ist einklagbar. Deshalb werden Sozialamt oder der Eingliederungshilfeträger auch in diesem Fall ihre Leistungen entsprechend kürzen oder einstellen.
Der Sohn oder die Tochter ist dann in einer doppelt misslichen Lage: Sie erhalten keine Leistungen, und müssen vor dem Nachlassgericht um ihren auf das gesetzliche Minimum reduzierten Anteil am Erbvermögen kämpfen.
Was wird aus unserem Kind, wenn wir uns nicht mehr kümmern können?
Wer ein behindertes Kind hat, kennt das Leben aus einer Perspektive, die andere Menschen kaum nachvollziehen können. Solche Eltern wissen, was es heißt, für einen Schützling zu kämpfen, Sorgen und Ängste auszustehen und mit der Bürokratie zu kämpfen. Sie erleben gleichzeitig ganz eigene Momente der Freude und eine Beziehung von besonderer Bedeutung und Tiefe.
Was wird, wenn man sich selber nicht mehr kümmern kann? Diese Sorge treibt viele Eltern um, die für einen Sohn oder eine Tochter mit Behinderung sorgen. Zum Glück bietet das Erbrecht sehr bewährte Lösungen, die Sicherheit und Wohlergehen des eigenen Kindes über den eigenen Tod hinaus sicherstellen.
Entscheidend ist, dass die Regelungen des Testaments oder des Erbvertrags mit großer juristischer Sorgfalt und Erfahrung erstellt werden. Dann lassen sich testamentarische Gestaltungen finden, die Kinder oder Enkel mit Behinderung gut versorgt zurücklassen, gegebenenfalls die Absicherung des überlebenden Ehepartners gewährleisten und gleichzeitig eine angemessene und gerechte Weitergabe von Vermögen an andere Kinder und Verwandte sicherstellen.