Wenn Testamente unwirksame oder unklare Regelungen enthalten, muss der Wille des Erblassers durch Testamentsauslegung gefunden werden. Für die Auslegung von Testamenten gelten feste erbrechtliche Grundsätze. Wird der Wille des Erblassers trotzdem nicht klar, helfen gesetzliche Auslegungsregeln weiter. Fachanwalt für Erbrecht Fabian Symann aus der Erbrechtskanzlei Symann aus München erklärt in diesem Beitrag, wie das Testament in Zweifelsfragen ausgelegt wird.
Was tun, wenn das Testament Unklarheiten, Zweideutigkeiten, Lücken oder unwirksame Bestimmungen enthält?
In Deutschland herrscht Testierfreiheit. Jeder kann sein Testament selbst und ohne erbrechtliche Beratung erstellen. Es genügt, dass der Erblasser seinen letzten Willen handschriftlich zu Papier bringt, mit Ort und Datum versieht und unterschreibt.
Solche privaten Testamente enthalten häufig Unklarheiten, Lücken oder Vorgaben, die nicht mit geltendem Recht in Einklang stehen. Die Folge sind regelmäßig Streitigkeiten unter den Erben oder zwischen den Erben und dem Testamentsvollstrecker.
Erbfall mit unklaren Bestimmungen?
Wenn Sie als Erbe mit einem unklaren letzten Willen konfrontiert ist, kann ein Rechtsanwalt für Erbrecht wie Fabian Symann weiterhelfen. Er wird das tun, was auch das Nachlassgericht macht: durch Testamentsauslegung herausfinden, was der Erblasser eigentlich wollte. Hilft das nicht weiter, wird er prüfen, ob es gesetzliche Vorgaben für bestehende Regelungslücken gibt. Als Ergebnis der Beratung können Sie entscheiden, ob rechtliche Schritte sich für Sie lohnen.
Im Streit um einen Nachlass ist die Testamentsauslegung oft von großer Bedeutung. Aus Sicht des Erblassers geht es darum, dieses Szenario zu vermeiden. Schließlich soll später einmal nicht ein Gericht über den eigenen letzten Willen befinden. Dieser soll vielmehr klar und in rechtssicherer Form im Testament formuliert sein. Deshalb ist die Begleitung der Testamentserstellung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt für Erbrecht von entscheidender Bedeutung.
Testamentsauslegung als Vorbedingung der Anfechtung
Ein Testament mit entscheidenden Rechtsfehlern kann angefochten werden. Wenn wichtige Bestimmungen völlig unklar sind, gänzlich fehlen oder gegen geltendes Erbrecht verstoßen, ist die Anfechtung vor dem Nachlassgericht möglich. Allerdings gilt dafür der Grundsatz „Auslegung vor Anfechtung“.
Eine Anfechtung ist nur dann zulässig, wenn fehlende, unklare oder unwirksame Bestimmungen nicht durch Auslegung des Testaments ersetzt werden können. Wenn auf diesem Weg der tatsächliche oder mutmaßliche Willen des Erblassers gefunden werden kann, dann gilt dieser auch.
Dazu kommt, dass unwirksame testamentarische Bestimmungen nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit des gesamten Testaments führen. Das gilt nur dann, wenn der Erblasser die restlichen Regelungen wohl nicht getroffen hätte, wäre ihm die Unwirksamkeit der betreffenden Anordnung bekannt gewesen (§ 2085 BGB). Auch unwirksame Bestimmungen erfordern also eine Auslegung des mutmaßlichen letzten Willens.
Damit ist das Prüfen der Testamentsauslegung der unerlässliche erste Schritt vor einer Anfechtungserklärung beim Nachlassgericht. Ohne Überblick über plausible und unplausible Auslegungsvarianten lässt sich die eigene Rechtsposition nicht wirklich bewerten.
Die Auslegung des Testaments folgt klaren Vorgaben
Die Interpretation des letzten Willens kann man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Die Auslegung eines Testaments folgt klaren Abläufen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung gibt seit langem klare Grundsätze und eine bestimmte Reihenfolge zur Auslegung unklarer Bestimmungen im Testament vor.
Erstes Ziel ist es, den wahren Willens des Erblassers anhand des vorliegenden Wortlauts zu erschließen. Ergänzend können zusätzliche Dokumente, Zeugen und ähnliches mehr herangezogen werden. Finden sich trotzdem keine Belege dafür, wie der letzte Wille des Verstorbenen aussah oder in Bezug auf offene Fragen ausgesehen hätte, können erbrechtliche Gesetzesvorschriften weiterhelfen.
Grundsätze der Testamentsauslegung
- Zunächst einmal muss der vom Erblasser zu Papier gebrachte Text des Testaments genau untersucht werden. Dieser darf dabei nicht auf seinen reinen Wortlaut reduziert werden. Bei der Testamentsauslegung sei „der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen“, ohne am „buchstäblichen Sinn“ der Formulierungen zu haften, so formuliert es der Bundesgerichtshof (BGH, 10.12.2014 – IV ZR 31/14).
Das ist ein entscheidender Punkt. Zum Beispiel dürfen bestimmte Worte nicht einfach im Rahmen ihrer erbrechtliche Definition verstanden werden. Alltagssprachlich werden die Begriffe „vermachen“ und „vererben“ oft gleichbedeutend verwendet. Im Erbrecht stehen sie für verschiedene Dinge. Ob ein Erblasser mit dem Satz „Ich vermache meinen Erben mein Haus und das Grundstück“ wirklich ein Vermächtnis machen wollte, muss deshalb bei der Testamentsauslegung aus dem Text heraus geklärt werden. Im Zweifel entscheidet, wie der Erblasser das benutzte Vokabular verstanden hat. Wie verwendet er den Begriff sonst? Werden Erbschaft und Vermächtnis im Testament klar auseinander gehalten? - Im Idealfall ergibt sich aus der genauen Textbetrachtung ein klares Bild dessen, was der Verfasser des Testaments sagen wollte – sein wirklicher Wille. Oft bleiben jedoch Unklarheiten. Dann muss die Testamentsauslegung im nächsten Schritt den mutmaßlichen Willen feststellen. Das ist zum Beispiel dann notwendig, wenn die Begrifflichkeiten wechseln oder wenn bestimmte Aspekte überhaupt nicht geregelt wurden. Liefert das Testament keine ausreichenden Hinweise auf den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen, kann ein Nachlassgericht weitere Beweismittel heranziehen.
Wollte der Erblasser der jüngsten Tochter sein Ferienhaus als Vermächtnis zukommen lassen, zusätzlich zu ihrem Erbanteil, oder wollte er in Form einer Teilungsanordnung bestimmen, dass ihr bei der Auseinandersetzung des Erbes das Ferienhaus als Anteil zufallen sollte? Die Antwort hat handfeste Konsequenzen. Die Richter können dafür auch auf Zeugenaussagen, Briefe oder E-Mails des Erblassers, Verträge und ähnliches mehr zurückgreifen. Sie dürfen allerdings den mutmaßlichen Willen nicht völlig am Testament vorbei konstruieren. Dieses muss zumindest eine entsprechende Andeutung enthalten. - Wie viel soll jeder der genannten Erben erhalten? Wer erbt, wenn eine als Haupterbe eingesetzte Person vor dem Erblasser stirbt? Viele Testamente lassen diese oder andere entscheidende Fragen völlig offen. Im schlimmsten Fall ist deshalb der letzte Wille nicht umsetzbar. Solche Regelungslücken müssen in Form einer ergänzenden Testamentsauslegung ausgefüllt werden. Was hätte der Erblasser in Bezug auf diese Frage wohl entschieden? Es geht darum, dafür im Wortlaut des Testaments eine Willensrichtung zu finden, so dass ergänzende Bestimmungen getroffen werden können.
- In manchen Fällen ergibt die Testamentsauslegung weder den eindeutigen noch den mutmaßlichen Willen des Erblassers. In diesem Fall kommen für bestimmte Punkte gesetzliche Auslegungsregeln zum Zug. In Buch 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das erbrechtliche Fragen regelt, gibt es eine Reihe von Paragrafen, die Entscheidungsrichtlinien für solche Unklarheiten vorgeben.
Der ermittelte Wille des Erblassers muss eine Andeutung im Testament haben
Wenn ein Nachlassgericht vor der Aufgabe steht, den wahren Willen des Erblassers zu ermitteln, muss es sich nicht allein auf eine Auslegung der Formulierungen im Testament verlassen. Diese sind quasi als Primärquelle zentral. Trotzdem können auch andere Beweismittel zur Testamentsauslegung hinzu kommen.
Allein auf solchen Indizien darf eine Willensermittlung jedoch nicht beruhen. Das folgt schon deshalb, weil der letzte Wille – mit Ausnahme von Nottestamenten – stets schriftlich abgefasst sein muss. Aus diesem Grund können Beweismittel außerhalb des Testaments eine bestimmte Interpretation nur dann stützen, wenn sich dafür zumindest eine „Andeutung“ im Testament findet. Diese sogenannte Andeutungstheorie prägt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof schon seit vielen Jahrzehnten (BGH, 08.02.1971 – III ZR 47/68).
Ergänzende Auslegung zum Schließen von Regelungslücken im Testament
In vielen Fällen weist ein Testament Lücken bei den Verfügungen auf, die eine Abwicklung des Erbfalls unmöglich machen. Solche Lücken müssen durch ergänzende Auslegung geschlossen werden. Ein typisches Beispiel: Das Testament benennt zwar drei Erben, schweigt sich aber dazu aus, wie viel jeder von ihnen bekommen soll.
Bei der ergänzenden Auslegung wird gewissermaßen hypothetisch gefragt, was der Erblasser geantwortet hätte, wenn man ihn zu diesem Punkt befragt hätte. Auch in diesem Punkt hat die Testamentsauslegung nicht unbeschränkte Freiheit. Die Antwort muss sich auf eine im Testament erkennbare „Willensrichtung des Erblassers“ zurückführen lassen (BGH, 15.12.1956 – IV ZR 238/56). Auch in dieser Hinsicht steht also das schriftliche Testament am Anfang und am Ende der Auslegung.
Gesetzliche Auslegungsregelungen bei Regelungslücken im Testament
In manchen Fällen lassen sich die Unklarheiten im Testament weder durch die unmittelbare Erläuterung noch durch ergänzende Testamentsauslegung klären. In solchen Fällen zieht die Rechtsprechung als nächsten Schritt die gesetzlichen Auslegungsregeln heran, die das Bürgerliche Gesetzbuch bereithält.
Im BGB findet man eine ganze Reihe von Bestimmungen gerade für den Fall, dass sich der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Erblassers weder aus den Formulierungen im Testament noch aus anderen Beweismitteln erschließen lässt. Sie geben an, was dann „im Zweifel“ als Wille des Erblassers anzunehmen ist.
- So sorgt § 2066 BGB für Klarheit, wenn im Testament zwar die gesetzlichen Erben eingesetzt wurden, aber nichts dazu gesagt wird, wie das Erbe auf sie verteilt werden soll: In diesem Fall gelten die Erbquoten, die bei der gesetzlichen Erbfolge greifen würden.
- Soll die Erbschaft gemäß Testament ohne nähere Eingrenzung „an die Verwandten“ oder „an die nächsten Verwandten“ gehen, dann haben die gesetzlichen Erben unter den Verwandten Anspruch auf den gesetzlichen Erbteil. Das legt § 2067 BGB fest. Die Folge ist unter anderem, dass ein überlebender Ehepartner nicht erbt, da kein Verwandtschaftsverhältnis besteht.
- Werden im Testament allgemein die Kinder des Erblassers bedacht und ist eines davon zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gestorben, dann rücken ohne nähere Bestimmungen dessen Kinder an seine Stelle. So gibt es § 2068 BGB vor.
- Eine entsprechende Regelung gilt allgemein dann, wenn ein im Testament bedachter Abkömmling (d. h. Kinder, Enkelkinder etc. einschließlich von Adoptivkindern) vor dem Erblasser stirbt oder das Erbe ausschlägt (§ 2069 BGB). Ohne gesonderte Regelung für diesen Fall treten dessen Abkömmlinge gemäß gesetzlicher Erbfolge an seine Stelle. Beispielsweise erben dann die Kinder der verstorbenen Tochter an ihrer Stelle.