Kündigung in Konzernstrukturen – wer ist überhaupt mein Arbeitgeber?

Kaum eine Frage sorgt in Konzernen für so viel Unsicherheit wie diese: Wer ist eigentlich mein Arbeitgeber – die Tochtergesellschaft auf meinem Vertrag, die Muttergesellschaft, die Matrix-Führungskraft im Ausland oder die „Group HR“, die das Schreiben unterschreibt? Gerade in Matrixorganisationen verschwimmen Zuständigkeiten: Fachlich berichten Mitarbeitende an eine Linie, disziplinarisch an eine andere, administrativ sitzt HR oft in einer weiteren Gesellschaft. Kommt es zur Kündigung, entscheidet jedoch nicht das Organigramm, sondern die rechtliche Zuordnung. Wer diesen Punkt sauber klärt, vermeidet Formfehler, erkennt Verteidigungshebel und verhandelt besser.

Der Ausgangspunkt: Arbeitgeber ist die Vertragspartei

Arbeitgeber ist grundsätzlich die juristische Person, mit der Sie Ihren Arbeitsvertrag geschlossen haben – die „Vertragsarbeitgeberin“. Das kann eine GmbH, AG, SE oder eine ausländische Gesellschaft mit deutscher Niederlassung sein. Markenname, E-Mail-Domain oder „Reporting Line“ ändern daran nichts.

Weisungen dürfen zwar im Konzern auch fachlich von anderen Stellen kommen; das arbeitsrechtliche Direktionsrecht (§ 106 GewO) steht aber dem Arbeitgeber zu oder Personen, die er wirksam bevollmächtigt hat. Diese Trennung wird bei Kündigungen scharf: Die Erklärung muss vom richtigen Rechtsträger abgegeben werden – und zwar durch eine unterschriftsberechtigte Person.

Typische Fallstricke bei Kündigungen im Konzern

Fehler 1

Ein häufiger Fehler ist das Kündigungsschreiben auf dem Briefkopf der Muttergesellschaft, obwohl der Vertrag mit der Tochter besteht. Ist die Mutter nicht Arbeitgeberin, kann sie die Kündigung nur als Vertreterin erklären. Fehlt dann ein Nachweis über die Vertretungsmacht (Originalvollmacht), darf die Arbeitnehmerseite die Kündigung gem. § 174 BGB unverzüglich wegen fehlender Vollmacht zurückweisen. Die Folge kann sein, dass die Erklärung unwirksam bleibt und der Arbeitgeber neu kündigen muss – mit allen Fristen- und Verfahrensrisiken.

Fehler 2

Ein zweiter Klassiker: Die Kündigung trägt die Unterschrift „Head of Global HR“ aus dem Ausland. Auch das kann wirksam sein, wenn die Person zeichnungsberechtigt ist oder eine entsprechende Gesamtgeschäftsordnung/Prokura/Einzelvollmacht vorliegt. Wer im Zweifel ist, sollte die Vorlage der Originalvollmacht verlangen und sich die Gesellschaft, für die unterschrieben wird, genau benennen lassen. Formfehler sind in Konzerngefügen häufiger als in mittelständischen Betrieben – und sie sind angreifbar.

Matrixorganisationen: fachliche Führung ≠ Arbeitgeber

In Matrixstrukturen geben fachliche Vorgesetzte (z. B. „Regional Lead EMEA“) Ziele vor, entscheiden über Budgets und Performance-Ratings. Das kann sich auf Abmahnungen und spätere Kündigungen auswirken. Achtung: Abmahnungen müssen dem Arbeitgeber zurechenbar sein.

Werden Leistungsdefizite nur über die Matrix dokumentiert, ohne dass die Vertragsarbeitgeberin diese zu ihrer eigenen macht (z. B. durch HR-Freigabe, Protokolle, systemische Erfassung), fehlt es später an belastbarer „Aktenlage“. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten deshalb konsequent darauf achten, dass wesentliche Personalthemen bei der Vertragsarbeitgeberin geführt und bestätigt werden – das erleichtert die Verteidigung gegen überzogene Vorwürfe.

„Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen“: wenn Grenzen fallen

Konzernrechtlich sind Unternehmen oft getrennte Rechtsträger. Betriebsverfassungsrechtlich kann es aber einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen geben. Das ist der Fall, wenn eine einheitliche Leitung personal- und sozialbezogene Entscheidungen für mehrere Rechtsträger trifft, Ressourcen gemeinsam genutzt werden und die personellen Maßnahmen aus einer Hand gesteuert werden.

Folge: Es gibt nur einen Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb, und für die Schwellenwerte (z. B. das Kündigungsschutzgesetz ab regelmäßig mehr als zehn Beschäftigten) kommt es auf den gemeinsamen Betrieb an. Für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen und für die Prüfung von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sind dann alle vergleichbaren Arbeitsplätze im gemeinsamen Betrieb einzubeziehen – nicht nur die der Vertragsgesellschaft. Wer das übersieht, riskiert teure Fehler.

Konzernleihe und Arbeitnehmerüberlassung

In vielen Konzernen arbeiten Mitarbeitende tage- oder jahrelang faktisch für eine Schwestergesellschaft. Rechtlich gibt es dafür zwei gängige Modelle: die (interne) Konzernleihe als Arbeitnehmerüberlassung oder die rein werk-/dienstvertragliche Zusammenarbeit mit weisungsfreier Tätigkeit.

Wo Weisungen tatsächlich von der Einsatzgesellschaft kommen und die Eingliederung in deren Arbeitsorganisation vorliegt, kann eine Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen sein. Sie ist erlaubnispflichtig. Fehlt die Erlaubnis, drohen erhebliche Rechtsfolgen – bis hin zur Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher (§ 10 Abs. 1 AÜG).

Für Kündigungen heißt das: Prüfen, wer über Jahre das Weisungsrecht ausgeübt hat, ob eine AÜ-Erlaubnis besteht und ob das Risiko eines „Arbeitgeberwechsels kraft Gesetzes“ im Raum steht. Das kann die Wirksamkeit der Kündigung und die richtige Adressierung massiv beeinflussen.

Betriebsübergang, Carve-out, Fusion: wenn der Arbeitgeber wechselt

Bei Umstrukturierungen wechseln Arbeitsverhältnisse häufig automatisch auf einen anderen Rechtsträger (§ 613a BGB). Typisch sind Carve-outs (Ausgliederung eines Geschäftsbereichs) oder Verschmelzungen. Für Kündigungen ist entscheidend: Wer war zum Zeitpunkt der Kündigung wirklich Arbeitgeber? Kündigt die „alte“ Gesellschaft nach einem wirksamen Betriebsübergang, ist die Kündigung regelmäßig unwirksam.

Außerdem sind Kündigungen „wegen des Betriebsübergangs“ verboten (§ 613a Abs. 4 BGB). In der Praxis kommt es auf Details an: Zeitpunkt des Übergangs, Umfang des übergehenden Betriebsteils, Information der Mitarbeitenden, Widerspruchsrechte, Zuordnung der Stellenprofile. In Konzernen entstehen hier häufig Angriffspunkte.

Sozialauswahl und Weiterbeschäftigung im Konzern

Bei betriebsbedingter Kündigung muss der Arbeitgeber die sozial schutzwürdigsten Mitarbeitenden halten. Diese Sozialauswahl findet grundsätzlich innerhalb des Betriebs bzw. der Arbeitgeberin statt. Eine Pflicht, konzernweit umzusetzen, gibt es ohne besondere Bindung nicht. Anders kann es sein, wenn ein gemeinsamer Betrieb besteht oder arbeitsvertragliche Versetzungsklauseln und konzernweite Stellenpools aktiv genutzt werden.

Ebenso relevant: Gibt es freie, zumutbare Arbeitsplätze in anderen Betriebsteilen derselben Arbeitgeberin, müssen diese vor Ausspruch der Kündigung ernsthaft geprüft werden. In der Beratungspraxis lohnt es sich, gepostete Vakanzen, interne Talent-Märkte und Versetzungsentscheidungen systematisch zu sichern – häufig lässt sich so eine betriebsbedingte Kündigung zu Fall bringen oder eine bessere Vergleichslösung erzielen.

Massenentlassungsanzeige: welcher Betrieb zählt?

Ab bestimmten Schwellenwerten muss vor Kündigungen die Agentur für Arbeit informiert werden (§ 17 KSchG). Diese Anzeige bezieht sich auf den „Betrieb“, nicht auf das gesamte Unternehmen. In Konzernstrukturen ist daher abzugrenzen: Gibt es einen eigenständigen Betrieb der Tochtergesellschaft oder einen gemeinsamen Betrieb mit anderen Gesellschaften? Wird die Anzeige falsch zugeordnet oder unterlassen, sind die Kündigungen regelmäßig unwirksam. Gerade in Matrixorganisationen mit zentralem HR-Controlling passieren hier Fehler.

Form und Fristen bleiben der Dreh- und Angelpunkt

Unabhängig von Konzernfragen gelten die Klassiker: Wer sich wehren will, muss binnen drei Wochen Kündigungsschutzklage erheben (§ 4, § 7 KSchG). Der Betriebsrat des betroffenen Betriebs ist vor jeder Kündigung anzuhören (§ 102 BetrVG); bei Schwerbehinderten bedarf es der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts (§ 168 SGB IX).

In Konzernen ist häufig unklar, welcher Betriebsrat zuständig ist – der der Tochter oder der des gemeinsamen Betriebs. Eine falsche oder fehlende Anhörung führt zur Unwirksamkeit. Gleiches gilt für unterschriftslose Scans, unklare Absender oder Stellvertretung ohne Vollmachtsnachweis.

Praxisbeispiele aus dem Konzernalltag

Beispiel 1

Die Kündigung vom falschen Briefkopf: Eine Mitarbeiterin der X GmbH erhält ein Kündigungsschreiben der X Holding AG, unterschrieben „Group HR“. Die Absenderin ist nicht Vertragsarbeitgeberin, eine Originalvollmacht liegt nicht bei. Die Mitarbeiterin weist die Kündigung gem. § 174 BGB unverzüglich zurück, erhebt fristwahrend Klage. Ergebnis: Die Arbeitgeberseite muss neu kündigen, verliert Zeit, der Gütetermin endet mit einer deutlich besseren Vergleichslösung.

Beispiel 2

Matrixbewertung ohne Arbeitgeberbindung: Ein Product Owner wird über Jahre ausschließlich von einer US-Mutter fachlich geführt. Performance-Probleme sind nur in globalen Tools dokumentiert, HR der deutschen Vertragsgesellschaft hat kaum Aktenlage. Die verhaltensbedingte Kündigung scheitert mangels wirksamer Abmahnungen, weil die Dokumente dem Arbeitgeber nicht sauber zurechenbar sind. Die Klage hat Erfolg.

Beispiel 3

Gemeinsamer Betrieb übersehen: Zwei Schwestergesellschaften teilen sich IT, HR und Produktionsleitung. Personalmaßnahmen werden zentral entschieden. Die Tochter kündigt betriebsbedingt, berücksichtigt aber bei der Sozialauswahl nur eigene Mitarbeitende. Vor Gericht wird der gemeinsame Betrieb festgestellt. Die Kündigung ist unwirksam, weil auch vergleichbare Stellen der Schwester in die Auswahl hätten einbezogen werden müssen.

Beispiel 4

Carve-out mitten im Verfahren: Während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses wird der Geschäftsbereich auf eine NewCo übertragen (§ 613a BGB). Die „alte“ Arbeitgeberin kündigt kurz vor Closing. Das Gericht hält die Kündigung für unwirksam, da die betroffene Stelle bereits eindeutig dem übergehenden Betriebsteil zugeordnet war. Der Fall endet mit hoher Abfindung.

Beispiel 5

Intra-Konzernverleih ohne Erlaubnis: Eine Ingenieurin ist faktisch seit zwei Jahren im Werk der Y GmbH eingesetzt, Weisungen kommen von deren Werkleiter. Die Vertragsarbeitgeberin Z GmbH hat keine AÜ-Erlaubnis. Im Prozess steht die Fiktion des Arbeitsverhältnisses mit der Y GmbH (§ 10 Abs. 1 AÜG) im Raum. Die Parteien schließen einen Vergleich mit Arbeitgeberwechsel und Aufstockung der Abfindung.

Beispiel 6

Versetzungsklausel – aber nicht grenzenlos: Ein Arbeitsvertrag erlaubt „Einsatz in anderen Gesellschaften des Konzerns“. Die Arbeitgeberin will die Arbeitnehmerin dauerhaft zu einer Schwestergesellschaft „versetzen“. Ohne Zustimmung würde das den Arbeitgeber wechseln – das ist keine Versetzung mehr, sondern bedarf eines Vertragswechsels. Die geplante Maßnahme wird gestoppt; im Gegenzug verhandeln die Parteien eine befristete Entsendung mit klaren Rückkehrrechten.

Woran Sie die richtige Arbeitgeberzuordnung festmachen

Auch wenn jede Konstellation anders ist, helfen einige Prüffragen, die Sie frühzeitig klären sollten:

  • Was steht im Arbeitsvertrag als Arbeitgeberin? Wurde später eine Vertragsübernahme schriftlich erklärt?
  • Wer hat die Kündigung ausgesprochen? Auf wessen Briefkopf? Liegt eine Originalvollmacht bei (§ 174 BGB)?
  • Welcher Betrieb ist betroffen? Gibt es Hinweise auf einen gemeinsamen Betrieb (einheitliche Leitung, zentrale Personalsteuerung, gemeinsame Ressourcen)?
  • Gab es einen Betriebsübergang (§ 613a BGB)? Wurde korrekt informiert? Haben Sie ggf. widersprochen?
  • Wurde der zuständige Betriebsrat angehört (§ 102 BetrVG)? Bei Schwerbehinderten: Zustimmung des Integrationsamts
  • Bestehen konzerninterne Einsatzmodelle (AÜG-Risiken)? Wer übt tatsächlich das Weisungsrecht aus?

Strategische Hinweise für Beschäftigte

Wer eine Kündigung in Konzernstrukturen bekommt, sollte nüchtern, aber entschlossen handeln. Sichern Sie alle relevanten Dokumente: Arbeitsvertrag, Nachträge, Organigramme, Vollmachten, E-Mail-Ketten zu Weisungen, Abmahnungen, Zielvereinbarungen, interne Stellenpostings, AÜG-Erlaubnisse. Klären Sie binnen weniger Tage, ob eine Zurückweisung wegen fehlender Vollmacht in Betracht kommt und ob ein gemeinsamer Betrieb argumentierbar ist.

Erheben Sie fristwahrend Klage – auch wenn Sie letztlich einen Vergleich anstreben. Gerade in Konzernen drehen sich viele Streitpunkte um Strukturfragen, die erst im Verfahren sauber aufgeklärt werden. Das verbessert Ihre Verhandlungsposition erheblich: von der richtigen Sozialauswahl über die Massenentlassungsanzeige bis zum Zeugnis.

Arbeitgeberseitig lohnt es sich ebenso, die Hausaufgaben zu machen: Zuständigkeiten und Zeichnungsrechte klar festlegen, Vollmachten geordnet bereitstellen, Betriebsratszuständigkeit prüfen, AÜG-Konstellationen sauber lizenzieren, Betriebsübergänge akribisch planen und dokumentieren, Personaldossiers in der Vertragsgesellschaft führen. In Matrixstrukturen müssen fachliche Bewertungen frühzeitig in die Personalakte der Vertragsarbeitgeberin einfließen – sonst fehlen später die Grundlagen für verhaltensbedingte Maßnahmen.

Fazit: In Konzernen entscheidet die juristische Feinzeichnung

Matrix, Marken, globale Tools – all das bestimmt den Alltag. Für die Wirksamkeit einer Kündigung zählen aber die harten rechtlichen Anknüpfungspunkte: Wer ist Vertragsarbeitgeber? Wer ist unterschriftsberechtigt? Welcher Betrieb, welcher Betriebsrat, welche Fristen? Wo bestehen gemeinsame Betriebe, Betriebsübergänge oder AÜG-Risiken? Wer diese Fragen strukturiert beantwortet, erkennt Formfehler, erweitert den Prüfungsrahmen der Sozialauswahl und nutzt echte Verhandlungshebel. Das Ergebnis ist selten dogmatisch „Klage oder Vergleich“, sondern eine informierte Strategie, die zu Zielen, Marktchancen und Nerven passt. Genau dabei kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht helfen.

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