Ein Aufhebungsvertrag klingt nach einer einvernehmlichen Trennung – in der Praxis ist „freiwillig“ jedoch oft das Ergebnis psychologischer Taktiken und Drucksituationen. Dieser Beitrag zeigt, wie Arbeitgeber Gespräche über Aufhebungsverträge strategisch steuern, welche rechtlichen Fallstricke drohen und wie Sie sich als Arbeitnehmer wirksam vorbereiten.
Was ein Aufhebungsvertrag ist – und was er auslöst
- Ein Aufhebungsvertrag beendet das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zu einem bestimmten Datum, meist gegen Abfindung und mit weiteren Regelungen (Freistellung, Urlaubsabgeltung, Zeugnis).
- Rechtsfolge Arbeitslosengeld: Häufig droht eine Sperrzeit von bis zu 12 Wochen nach §159 SGB III, wenn die Beendigung „versicherungswidrig“ herbeigeführt wurde und kein „wichtiger Grund“ vorliegt. Zudem kann der Anspruch ruhen, wenn eine Entlassungsentschädigung gezahlt wurde (§158 SGB III).
- Kein Widerrufsrecht: Ein einmal unterschriebener Aufhebungsvertrag kann grundsätzlich nicht einfach widerrufen werden. Ein Widerrufsrecht wie im Verbraucherschutz gibt es hier nicht. Eine nachträgliche Anfechtung ist nur ausnahmsweise möglich, z. B. wegen widerrechtlicher Drohung (§123 BGB).
- Strenge Schriftform: Der Vertrag ist nur wirksam, wenn er eigenhändig schriftlich unterschrieben wird (§623 BGB). E-Mail, Scan oder DocuSign reichen nicht.
- Zeugnisanspruch: Sie haben Anspruch auf ein wohlwollendes, wahrheitsgemäßes Zeugnis (§109 GewO).
Typische Arbeitgeber-Taktiken – und der psychologische Hebel dahinter
1) Überraschungsgespräch
- Taktik: „Kommen Sie bitte kurz ins Büro“ – dort liegt der Aufhebungsvertrag schon bereit.
- Psychologie: Überraschung schwächt Ihre kognitive Kontrolle; Menschen sagen unter Zeitdruck eher zu.
- Gegenstrategie: Keine Unterschrift im Erstgespräch. Bedenkzeit verlangen, Beratung einholen, Gespräch beenden. Kurzformel: „Ich entscheide nichts sofort. Ich nehme den Entwurf mit.“
2) Zeitdruck und künstliche Fristen
- Taktik: „Das Angebot gilt nur heute/heute 16 Uhr.“
- Psychologie: Verknappung erzeugt FOMO und Entscheidungsdruck.
- Gegenstrategie: Unterschreiben Sie nie unter Zeitdruck. Künstliche Fristen sind rechtlich nicht verbindlich. Fordern Sie mindestens einige Tage Bedenkzeit und nennen Sie aktiv einen eigenen Termin.
3) Drohung mit Kündigung oder Vernichtung der Karriere
- Taktik: „Wenn Sie nicht unterschreiben, kündigen wir fristlos“ oder „Dann fällt Ihr Zeugnis schlechter aus.“
- Psychologie: Angst erhöht die Bereitschaft zu Zugeständnissen.
- Recht: Widerrechtliche Drohungen können einen Anfechtungsgrund bilden (§123 BGB). Besonders fragwürdig: Drohung mit fristloser Kündigung ohne ausreichende Tatsachenbasis (§626 BGB). Unzulässig ist auch Druck mit unzutreffenden Rechtsfolgen (z. B. „Sie bekommen sonst nie ALG“).
- Gegenstrategie: Nach Belegen fragen („Worauf stützen Sie die fristlose Kündigung konkret?“), Protokoll führen, keinesfalls spontan unterschreiben. Gegebenenfalls später anwaltlich prüfen lassen, ob Anfechtung möglich ist.
4) Framing als großzügiges Entgegenkommen
- Taktik: „Wir tun Ihnen einen Gefallen – mit Abfindung und gutem Zeugnis.“
- Psychologie: Reziprozität – man fühlt sich zum „Entgegenkommen“ verpflichtet.
- Gegenstrategie: Abfindung und Zeugnis stehen oft ohnehin im Verhandlungsspielraum. Prüfen Sie, ob die „Abfindung“ die Sperrzeit/Anrechnung kompensiert. Faustformel-Abfindungen orientieren sich häufig bei gerichtlichen Vergleichen an ca. 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr (ohne Rechtsanspruch).
5) Isolations- und Vertraulichkeitsdruck
- Taktik: „Bitte sagen Sie niemandem etwas und entscheiden Sie jetzt.“
- Psychologie: Isolation vermindert Gegenstimmen und Beratung.
- Recht/Praktikabel: Sie dürfen anwaltlichen Rat einholen. In vielen Betrieben kann ein Betriebsratsmitglied zu Gesprächen hinzugezogen werden; klären Sie betriebsintern Ihre Rechte (BetrVG, etwa Mitwirkungsmöglichkeiten und Gesprächsbegleitung).
- Gegenstrategie: Gespräch vertagen, Begleitperson hinzuziehen, nicht allein verhandeln.
6) Salamitaktik in der Formulierung
- Taktik: Freundliche Formulierungen mit harten Wirkungen, etwa „Freistellung unter Anrechnung“, „Ausgleichsklausel“, „Wettbewerbsverbot“.
- Psychologie: Positive Sprache senkt die Skepsis.
- Gegenstrategie: Klauseln übersetzen lassen. Prüfen Sie besonders:
- Freistellung: Bezahlt? Widerruflich/unwiderruflich? Urlaubsanrechnung nach §7 BUrlG?
- Ausgleichsklausel: Verzicht auf alle Ansprüche? Ausnahmen aufnehmen (Bonus, Überstunden, Resturlaub, variable Vergütung).
- Wettbewerbsverbot: Nur wirksam mit Karenzentschädigung von mindestens 50% der letzten vertragsgemäßen Vergütung (§74 ff. HGB).
- Zeugnisnote und -formulierung konkret festhalten.
- Abfindung, Fälligkeit, Fälligkeitssicherung (z. B. Zahlungsdatum, Verzug).
Beispiele aus der Praxis
- Beispiel 1: „Heute unterschreiben, sonst fristlos“ – Der Mitarbeiter wird mit einer angeblich erwiesenen Pflichtverletzung konfrontiert. Tatsächlich gibt es nur Vermutungen. Empfehlung: Keine Unterschrift. Unterlagen verlangen, Gespräch beenden, Beratung einholen. Spätere Anfechtung kann möglich sein (§123 BGB), wenn die Drohung objektiv unberechtigt war.
- Beispiel 2: „Großzügige Abfindung“ – 10.000 Euro bei langer Betriebszugehörigkeit, Beendigung zum Monatsende, sofortige Freistellung. Folge: 12 Wochen Sperrzeit (§159 SGB III) und ggf. Ruhen (§158 SGB III). Nettoeffekt: Die Abfindung schmilzt durch fehlendes ALG und längere Überbrückung. Besser: Beendigungsdatum so legen, dass Kündigungsfristen eingehalten werden, Gründe dokumentieren (wichtiger Grund), Alternativen prüfen (betriebsbedingte Kündigung mit §1a KSchG-Abfindung kann Sperrzeit vermeiden).
- Beispiel 3: „Alles erledigt“-Klausel – Eine weite Ausgleichsklausel streicht versehentlich offene Boni und Überstunden. Lösung: Ausnahmen ausdrücklich aufnehmen: „Ausgenommen bleiben variable Vergütung 2025 gemäß Zielvereinbarung, Überstunden 120 Std., Urlaubsabgeltung 14 Tage.“
- Beispiel 4: „Wettbewerbsverbot ohne Karenz“ – Der Vertrag enthält ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, aber keine Karenzentschädigung. Folge: Unwirksamkeit oder schmerzhafte Bindung. Lösung: Entweder streichen oder Karenzentschädigung von mind. 50% vereinbaren (§74 HGB).
Rechtlicher Rahmen – zentrale Paragrafen im Überblick
- §623 BGB: Schriftform für Beendigung von Arbeitsverhältnissen (gilt auch für Aufhebungsverträge).
- §123 BGB: Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung oder arglistiger Täuschung.
- §138 BGB: Sittenwidrigkeit bei krasser Übervorteilung (Ausnahmefälle).
- §626 BGB: Wichtiger Grund für fristlose Kündigung (relevant, wenn damit gedroht wird).
- §159 SGB III: Sperrzeit beim Arbeitslosengeld nach eigenem Mitwirken an der Lösung.
- §158 SGB III: Ruhen des ALG-Anspruchs bei Entlassungsentschädigung.
- §109 GewO: Anspruch auf (qualifiziertes) Arbeitszeugnis.
- §7 BUrlG: Urlaub und Abgeltung bei Beendigung.
- §§74 ff. HGB: Nachvertragliches Wettbewerbsverbot und Karenzentschädigung.
- KSchG (insb. §1, §1a): Kündigungsschutz und Abfindung bei betriebsbedingter Kündigung (Alternative zum Aufhebungsvertrag; kann Sperrzeit vermeiden).
- SGB IX (z. B. §168): Besondere Kündigungsschutzvorschriften für Schwerbehinderte – gelten für Kündigungen, nicht für Aufhebungsverträge; daher besondere Vorsicht bei Drucksituationen.
Checkliste: So bereiten Sie sich vor und verhandeln souverän
- Nicht spontan unterschreiben. Immer Bedenkzeit verlangen und Entwurf mitnehmen.
- Beratung sichern: Fachanwalt für Arbeitsrecht, ggf. Betriebsrat, Rechtsschutzversicherung.
- ALG-Risiken klären: Sperrzeit/Ruhenszeit vermeiden oder einkalkulieren; frühzeitige Meldung bei der Agentur für Arbeit.
- Kündigungsfrist beachten: Beendigungsdatum so legen, dass die ordentliche Kündigungsfrist eingehalten ist – reduziert Sperrzeit-Risiken.
- Abfindung realistisch kalkulieren: Nettoeffekt nach Steuern, Sperrzeit und Übergangszeit.
- Zeugnis schriftlich fixieren: Note, Funktionsbeschreibung und Schlussformel.
- Ansprüche sichern: Offene Boni, Überstunden, Urlaub, Provisionen ausdrücklich aufführen.
- Wettbewerbsverbot prüfen: Nur mit ausreichender Karenzentschädigung akzeptieren.
- Freistellung klar regeln: Bezahlt? Unwiderruflich? Anrechnung von Urlaub/Überstunden.
- Dokumentation: Gesprächsverlauf, Drohungen, Fristen und Zusagen notieren. Unterlagen sichern.
Warnsignale, bei denen Sie besonders aufpassen sollten
- Drohung mit fristloser Kündigung ohne klare Belege.
- „Nur heute gültig“-Angebote.
- Verweigerung jeder Bedenkzeit und Beratungsoption.
- Weitreichende Ausgleichsklauseln ohne Ausnahmen.
- Nachvertragliche Wettbewerbsverbote ohne Karenzentschädigung.
Fazit
Aufhebungsverträge sind selten so freiwillig, wie sie erscheinen. Wer die psychologischen Taktiken kennt, kann Druck aus Situationen nehmen, Fehler vermeiden und bessere Ergebnisse erzielen. Entscheidend ist, nie im Erstgespräch zu unterschreiben, rechtliche Beratung einzuholen und die sozialversicherungsrechtlichen Folgen (Sperrzeit/Ruhen) mitzudenken. Ein gut verhandelter und rechtssicher gestalteter Aufhebungsvertrag schützt Ihre Zukunft – ein übereilter hingegen kann teuer werden.